Rückblick
«Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen.»
(Baltasar Gracián y Morales, 1601–1658, spanischer Jesuit, Philosoph und Schriftsteller)
Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Flüchtlinge werden gezwungen in Scharen ihre Heimat zu verlassen. Amerikanische Präsidentschaftskandidaten verlassen den Pfad der Vernunft und Zentralbanken verlassen die Welt der positiven Zinsen.
Auch auf die Briten ist kein Verlass. Das frühe Ausscheiden des Mutterlands des Fussballs an der Europameisterschaft sorgte nur in England für rote Köpfe. Der Brexit hingegen hat das Potenzial, einen Flächenbrand dies- und jenseits des Ärmelkanals auszulösen. Als wäre dies nicht schon des Schlechten genug, verlässt Initiator Nigel Farage das Schiff und überlässt anderen die Aufräumarbeiten. Die Frage, ob es diesmal wirklich die Klugen sind, die das Bekannte auf der Suche nach Neuem verlassen, ist berechtigt.
Eine erste Antwort haben die Finanzmärkte in den letzten Tagen des abgelaufenen Quartals bereits gegeben. Unmittelbar nach dem überraschenden Entscheid des britischen Souveräns Ende Juni, die EU zu verlassen, hat eine Welle der Volatilität die globalen Märkte aufgewühlt. Bislang gibt es zwei deutliche Verlierer: die englische Währung und der britische Immobilienmarkt. Allein in der letzten Woche des Quartals verlor das Pfund gegenüber dem Franken und dem Euro 8% an Wert; zum Dollar wertete das Pfund gar 10% ab. Noch schlimmer hat es die Immobilienfonds erwischt. Im Juni mussten sie eine Preiskorrektur von mehr als 10% hinnehmen, und in den kommenden Monaten sind weitere Verluste zu erwarten. Einige Fondsgesellschaften konnten die massiven Verkäufe ihrer Anteile nicht mehr fristgerecht bedienen und mussten umgehend ihre Tore schliessen.
Von der neu aufflackernden Unsicherheit am meisten profitieren konnten Staatsanleihen von bester Bonität. Sie erzielten durchs Band Gewinne, und die Zinsen sanken auf neue historische Tiefstwerte. In Deutschland, Japan und der Schweiz nehmen die Anleger Negativzinsen in Kauf – sie bezahlen Zinsen für das Recht, über zehn Jahre sichere Staatsanleihen zu halten.
Britische Aktien verzeichneten im Abstimmungsmonat trotz dem überraschenden Entscheid zum Brexit einen Gewinn von 6%. Die Märkte der europäischen Peripherieländer verloren im Juni hingegen deutlich an Wert. Die höchsten Abgaben verzeichnete die Börse in Athen (–16%), gefolgt von Mailand (–7%) und Madrid (–6%). An den amerikanischen Aktienbörsen hinterliess der Brexit keine Spuren; der Dow Jones Index legte 1% zu.
Ausblick
«Fakten mit Meinungen gemischt, sind ein hochexplosiver Cocktail.»
(Stefan Fleischer, *1938, ehemaliger Organisator einer Grossbank)
Nach Schätzungen von Citi Research wird rund ein Drittel aller Staatsanleihen von Industrieländern mit einer negativen Verzinsung gehandelt. Ihr Volumen betrage mehr als 7 Billionen Dollar. Der internationale Finanzdienstleister Tradeweb geht davon aus, dass mehr als die Hälfte aller ausstehenden Anleihen in der Eurozone zinsmässig den Kopfstand machen. Die «Financial Times» hat bereits im Mai berichtet, 16% der globalen Staatsschulden seien mit Negativzinsen behaftet. Die Zahl von 10 Billionen Dollar steht im Raum.
Wenn schon die Fakten nicht genau bekannt sind, dann gilt dies erst recht für die Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Und mit Meinungen gemischt, ergibt das einen wahrlich explosiven Cocktail. Wir befürchten, dass diese moderne Art der Schuldentilgung – der Gläubiger soll durch Negativzinsen gleich selbst den Schuldenabbau finanzieren – auf die Dauer nicht goutiert wird. Anleger werden in risikoreiche Investitionen gedrängt, damit sie ihr Anlageziel erreichen können.
Anlageklasse | Index | Rendite über 3 Monate, per 30.06.2016 | Rendite über 12 Monate, per 30.06.2016 |
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Aktien Welt | MSCI World Net USD | 1,01% | -2,78% |
Aktien Schweiz | Swiss Performance Index | 4,13% | -2,90% |
Obligationen Welt | JPM GBI Global Traded TR USD | 3,59% | 11,52% |
Obligationen Schweiz | Swiss Bond Index AAA-BBB TR | 1,61% | 4,65% |
Rohwaren | Thomson Reuters/Jefferies CRB TR USD | 13,01% | -15,07% |
Immobilien Schweiz | SXI Real Estate® TR CHF | 2,56% | 7,76% |
Wechselkurs EUR/CHF | -0,75% | 4,23% | |
Wechselkurs USD/CHF | 1,72% | 4,58% |
Unsere Risikoindikatoren haben sich im abgelaufenen Quartal auf einem Niveau bewegt, das ein leichtes Übergewicht in Realwerten (Aktien, Immobilien, Rohwaren) rechtfertigte. Kurz vor Quartalsende haben sich die Renditeaussichten jedoch eingetrübt. Die Wahrscheinlichkeit ist gestiegen, dass die Marktindizes in den kommenden Monaten zunehmend anfällig für Schwankungen sind. Unsere beiden prospektiven Risikoindikatoren, die unser Zielportfolio bestimmen, bewegen sich zurzeit in die gleiche Richtung: Seit Mai steigt der eher mittel- bis langfristig orientierte SRI (Systemic Risk Index) kontinuierlich an. Er steht an der Schwelle zu einem Wert, der sowohl eine überdurchschnittliche Verletzlichkeit der Märkte anzeigt als auch systemische Risiken in Realwerten prognostiziert. Im Einklang zum SRI bewegt sich der kurz- bis mittelfristig ausgerichtete TI (Turbulence Index). Er signalisiert eine erhöhte Volatilität sowie ein unübliches Verhalten zwischen den Anlageklassen und verheisst für die bevorstehenden ein bis drei Monate nichts Gutes. Es empfiehlt sich, die Realwerte aktuell – und vermutlich bis in die Herbstmonate hinein – eher konservativ zu gewichten.
Nach unserer Einschätzung gibt es wenig Argumente, die heute für ein Übergewicht in Aktien sprechen. Der vielzitierte Grund, im Negativzinsumfeld führe kein Weg an Aktien vorbei, erinnert an Paradigmen, die in der jüngeren Vergangenheit für Enttäuschungen gesorgt haben. Im Jahr 2000 herrschte der Irrglaube, das Internetzeitalter produziere nur Gewinneraktien. 2007 wurde davon ausgegangen, das Zusammenschnüren der Hypotheken von vielen schlechten Schuldnern biete eine gute Geldanlage.
Ein guter Grund für eine defensive Positionierung von risikoreichen Anlagen ist aber auch die Sorglosigkeit, mit der sich die Anleger in Aktien stürzen und dabei vergessen, dass hohe Aktienquoten jeweils mit grosser Wahrscheinlichkeit auf einen bevorstehenden Rückgang der Indizes hinweisen:
- Schweizer Banken empfehlen per Ende Juni 2016, in gemischten Mandaten Schweizer Aktien im Umfang von mehr als 19% zu halten. In den letzten 20 Jahren führte eine Aktienquote von 19% und mehr nur in einem von fünf Fällen zu positiven Aktienindexrenditen über die nachfolgenden zwölf Monate. In den anderen vier Fällen wurde ein Verlust von durchschnittlich 14% eingefahren.
- Mehr als 38% aller Mittel, die bei schweizerischen Anbietern von Anlagefonds investiert sind, werden in Aktienfonds gehalten – ein Wert, der in den letzten 18 Jahren nur sieben Mal erreicht wurde. In sämtlichen nachfolgenden Jahresperioden wurde ein Verlust von durchschnittlich 8% erlitten.
- Gemäss Statistik der Schweizerischen Nationalbank betrug die Aktienquote in den Kundendepots von Schweizer Banken in den letzten zwölf Monaten im Durchschnitt 43%. In mehr als 70 Fällen führten solch hohe Aktienquoten über die jeweils folgenden zwölf Monate zu einer negativen Aktienindexrendite von durchschnittlich minus 11%.
Globale Finanzmärkte – Rückblick
(Vergleiche vorangehende Tabelle)
Aktien
Im zweiten Quartal 2016 entwickelten sich die internationalen Aktienmärkte sehr heterogen. Amerikanische Indizes konnten die bescheidenen Gewinne des ersten Quartals bis zur Jahresmitte ausbauen. Der Dow Jones und der breiter investierte S&P 500 avancierten von April bis Ende Juni 1% respektive 2%. Schweizer Aktien legten im zweiten Quartal um 4% zu; sie konnten die Verluste des ersten Quartals jedoch nicht kompensieren. Der Nikkei in Japan fand kein Rezept gegen den – trotz Negativzinsen – wiedererstarkten Yen und gab 7% nach. Der von Finanzwerten dominierte Euro Stoxx 50 kam vor allem nach der Brexit-Wahl in Grossbritannien unter die Räder und zeigte ein Quartalsminus von 5%. Für beide Indizes ist das der zweite Quartalsverlust in Folge. Ihren Gewinn halten konnten Titel aus den aufstrebenden Märkten: Mit einem Zuwachs von in Dollar gerechnet 6% liegt der MSCI Emerging Markets Index seit Jahresanfang solid im Plus.
Obligationen
Die Turbulenzen der letzten Junitage sorgten für eine Novität an den Anleihemärkten. Unmittelbar nach Ablauf des zweiten Quartals sorgte die aktuelle Hausse dafür, dass sämtliche ausstehenden Eidgenossen eine negative Rendite liefern. Anders ausgedrückt: Für eine garantierte Rückzahlung der Anleihen der Schweizer Eidgenossenschaft sind die Anleger bereit, bis ins Jahr 2064 auf eine Verzinsung zu verzichten und sogar eine Versicherungsprämie zu zahlen. Entsprechend legten Frankenanleihen im zweiten Quartal um 2% zu; der global investierte Obligationenindex avancierte in Dollar gerechnet gar 4%.
Rohwaren
Der Schock nach dem Votum der britischen Stimmbürger sorgte für neue Kurssprünge in Gold (+7%) und Silber (+19%). Es wird vermutet, dass die Bank of England (BoE) und die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Geldpolitik wegen des Brexit weiter lockern könnten, was die Opportunitätskosten für das Halten von Edelmetallen nochmals senken würde. Der Ölpreis tendiert seit zwei Monaten seitwärts, doch auf Quartalsbasis zeigte er einen kräftigen Gewinn von 36%. Der Kaffeepreis stieg im ersten Halbjahr 2016 um 16%. Er half mit, dass der breit gefasste Rohwarenindex CRB im zweiten Quartal die beste Performance der hier kommentierten Anlagekategorien verbuchte.
Immobilien
Die im Vergleich zu Aktien traditionell schwankungsresistenten Immobilien erlitten im Nachgang zum Brexit die grössten Verwerfungen, und die gegenläufige Entwicklung in den USA und im Vereinigten Königreich ist eindrücklich: Jenseits des Atlantiks legten Immobilienwerte im zweiten Quartal um 6% zu, auf der Insel sorgte der Verlust von 10% im Juni für einen Quartalsrückgang von 7%. Gut schweizerisch hielten sich die Immobilienfonds an der SIX Swiss Exchange, sie erwirtschafteten einen Zuwachs von 3%.
Währungen
Auch das Pfund litt unter dem Brexit. Im zweiten Quartal verlor die britische Valuta gegenüber dem Franken und dem Euro 5% an Wert, gegenüber dem Dollar gar 7%. Zum Quartalsende notierte das Pfund zum Dollar auf dem tiefsten Stand seit 1985. Der Euro lag zum Franken bis kurz vor Quartalsende im Plus, die Unsicherheiten rund um den Brexit zogen die europäische Einheitswährung jedoch noch ins Minus (–1%). Von den Währungsturbulenzen profitieren konnten der Dollar und vor allem der Japanische Yen, sie werteten zum Franken um 2% respektive 11% auf.