Rückblick
«Unsicherheit ist der Kern der Widersprüche.»
(Katharina Eisenlöffel, österreichische Aphoristikerin)
Eines gilt für 2016 ganz bestimmt: Es war eine unsichere Zeit. Das Forschungsinstitut «Öffentlichkeit und Gesellschaft, FÖG» der Universität Zürich hat für das letzte Jahr eine Liste der wichtigsten Medienthemen erstellt, und zuoberst rangieren die US-Präsidentschaftswahlen und ihr Hauptprotagonist Donald Trump. Die Liste deckt die Kategorien Konflikte, Attentate, Wahlen, Europäische Union, Skandale und Wirtschaft ab. Auch wenn die Flüchtlingskrise in Europa, die Terroranschläge in Brüssel, Nizza und Berlin, der Syrienkrieg sowie der Putschversuch in der Türkei ausgeblendet werden, bleiben immer noch genügend Krisenherde übrig, die die globale Entwicklung in Politik und Wirtschaft beeinflussen. Umso erstaunlicher ist, dass weder der Brexit, noch die Wahlen in Amerika, und schon gar nicht das Verfassungsreferendum in Italien, die Finanzmärkte in ein Chaos stürzten.
Zunehmende Unsicherheit herrscht auch, ob die ultraexpansiven Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) wirken. Mario Draghi rechnet den Marktteilnehmern mit grosser Modellgläubigkeit immer noch vor, seine Geldpolitik werde funktionieren. Seine Kritiker hingegen erklären das schwache Wachstum von Konsum und Investitionen sowie das Ausbleiben der angestrebten Inflation wie folgt: Privatpersonen erhöhen im Tiefzinsumfeld ihre Sparquote, um ihr Sparziel zu erreichen; Unternehmen schliessen die Lücken in der Pensionskasse und fahren deshalb ihre Investitionen zurück. Die Wirtschaftssubjekte verhalten sich nicht so, wie es die Technokraten erwarten.
Dennoch hat es an den Finanzmärkten im abgelaufenen Jahr keine grossen Verwerfungen gegeben, und die meisten Anlagekategorien erzielten positive Renditen. «Aktien Schweiz» beendeten das Jahr erstaunlicherweise im Minus, obwohl die grosskapitalisierten Nestlé, Novartis und Roche gerade in einem unsicheren Umfeld ihre defensiven Qualitäten ausspielen konnten. Offensichtlich gibt es zwischen den in den Medien dargestellten Unsicherheiten und der Verfassung der Börsen einen Widerspruch.
Ausblick
«Unsicherheit ist meist die Folge fehlenden Wissens.»
(Willy Meurer, deutsch-kanadischer Kaufmann und Publizist)
Unsicherheit kann gemessen werden. Vor gut drei Jahren stellten die amerikanischen Ökonomen Scott R. Baker, Nicholas Bloom und Steven J. Davis ihren Index of Economic Policy Uncertainty (EPU) vor, der unter anderem die Häufigkeit von Zeitungsberichten zu den Themen Politik, Steuern und Wirtschaft misst. Je häufiger und kontroverser über die entsprechenden Themen berichtet wird, desto höher ist die vom Index angezeigte Unsicherheit. Der EPU-Index schloss per Ende 2016 auf dem höchsten Wert, der seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 1985 gemessen wurde.
Das ist beunruhigend, und bereits kursieren Szenarien, die nichts Gutes für die Finanzmärkte verheissen. So werden zum Beispiel Verwerfungen an den Kreditmärkten erwartet. Ohne die alte Börsenweisheit von Carl Mayer von Rothschild – «Kaufen, wenn die Kanonen donnern, verkaufen, wenn die Violinen spielen.» – wäre unsere aktuelle Positionierung wohl defensiver. Was hat dieses Sprichwort mit der vom EPU-Index gemessenen Unsicherheit zu tun?
Anlageklasse | Index | Rendite über 3 Monate, per 31.12.2016 | Rendite über 12 Monate, per 31.12.2016 |
---|---|---|---|
Aktien Welt | MSCI World Net USD | 1,86% | 7,51% |
Aktien Schweiz | Swiss Performance Index | 0,93% | -1,41% |
Obligationen Welt | JPM GBI Global Traded TR USD | -8,30% | 1,56% |
Obligationen Schweiz | Swiss Bond Index AAA-BBB TR | -2,34% | 1,32% |
Rohwaren | Thomson Reuters/Jefferies CRB TR USD | 3,44% | 9,57% |
Immobilien Schweiz | SXI Real Estate® TR CHF | -0,50% | 6,85% |
Wechselkurs EUR/CHF | -1,87% | -1,51% | |
Wechselkurs USD/CHF | 4,86% | 1,68% |
Die historische Evidenz spricht eine eindeutige und überraschende Sprache: Der Index «Aktien Welt» erlitt immer dann grosse Verluste, wenn der EPU-Index unter einem Wert von 100 notierte, die Unsicherheit also gering war. Seit 1995 resultierte in diesen Fällen eine Jahresrendite von 4%, was deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt lag. Die Aktienmärkte entwickelten sich am besten, wenn die Unsicherheit hoch war und der EPU-Index über 150 notierte. Einerseits wurde dann eine überdurchschnittlich hohe Jahresrendite von 14% erzielt, andererseits zeigte die Standardabweichung dieser Jahresrenditen (Schwankung um den Mittelwert) mit 14% den tiefsten Wert. In Ergänzung zu Willy Meurers Aphorismus glauben wir zu wissen, dass Unsicherheit für die Aktienmärkte gut ist.
Die latente Unsicherheit in den vergangenen zwölf Monaten ist auch an unseren beiden prospektiven Risikoindikatoren nicht spurlos vorbeigegangen, und wir passten das Zielportfolio häufiger als in früheren Jahren an das herrschende Börsenumfeld an. Zurzeit halten wir die Sachwertquote (Aktien, Immobilien, Rohwaren) nahe beim strategischen Gewicht (Benchmark). Die Wahrscheinlichkeit von Kurskorrekturen in den entsprechenden Indizes darf wegen der fundamentalen, hohen Bewertung von Aktien und der bevorstehenden Abkehr von der lockeren Zinspolitik der amerikanischen Federal Reserve Bank nicht vernachlässigt werden.
Nicht nur die aktuelle Unsicherheit dürfte kurz- bis mittelfristig für eher höhere Aktienkurse sprechen, sondern auch die folgenden Beobachtungen. Probleme erwarten wir allerdings in der zweiten Jahreshälfte:
- Nach fünf Quartalen mit einer jeweils sinkenden Aktienquote haben die Schweizer Banken den Optimismus für Aktien wieder gefunden. Im vierten Quartal 2016 haben sie das empfohlene Aktiengewicht in gemischten Mandaten um mehr als 3% auf 47% angehoben. Getragen vom guten Börsenumfeld dürfte dieser Wert bei der nächsten Umfrage im Frühling auf einen neuen Rekordwert steigen. Damit wäre dann aber das Potenzial für die meisten Aktienindizes erschöpft, errechnet sich doch aus einer Aktienquote von z. B. 49% eine negative Indexentwicklung über die folgenden zwölf Monate von mehr als –10%.
- Gemäss den Daten der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hinkt die von den Anlegern effektiv gehaltene Aktienquote den Empfehlungen der Schweizer Banken hinterher. Die heutige Quote liegt mit 42% deutlich unter dem Rekordwert vom Sommer 2000, als die Anleger die Hälfte ihrer Wertschriftendepots in Aktien hielten. Bei einem weiteren kontinuierlichen Anstieg betrüge die Quote im Sommer fast 45% – was dem Wert entspricht, der kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2007/08 erzielt wurde. Eine Aktienquote von 45% führt mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer negativen Aktienindexrendite von –4% über die nachfolgenden zwölf Monate.
Die Risikokonzentration als Massstab für die Anfälligkeit von Marktindizes ist nicht nur für die Berechnung unserer eigenen Risikoindikatoren essentiell. Wir beobachten auch die aktuelle Konzentration in den USA mit Argusaugen, haben doch die beiden grössten Sektorgewichte (zurzeit handelt es sich dabei um Information Technology und Financials) innerhalb des vielbeachteten S&P 500 eine hohe Prognosefähigkeit für die zukünftige Indexentwicklung. Das aktuelle Gewicht von zusammen 38% ist so hoch wie zuletzt vor 13 Jahren, und unsere Berechnungen zeigen auf, dass ein Anstieg auf über 40% die erwartete Jahresrendite deutlich in den negativen Bereich drücken würde.
Globale Finanzmärkte – Rückblick
(Vergleiche vorangehende Tabelle)
Aktien
Frontier Markets locken die Anleger mit überdurchschnittlich hohen Renditen und Risiken – und diese rund 20 Börsenplätze der geographischen und ökonomischen Peripherie führten 2016 die Gewinntabelle an. Der Spitzenreiter Kasachstan zeigte dank der Erholung des Ölpreises einen Jahresgewinn von 62% – nota bene in Dollar gerechnet. Auch die Vertreter der klassischen Emerging Markets Brasilien (+57%) und Russland (+52%) glänzten. In Moskau wurden die Folgen der vom Westen ergriffenen Sanktionen ignoriert und auf das Ende der zweijährigen Rezession spekuliert. Unter den zehn Tabellenletzten befinden sich hingegen drei aus Europa. In Italien (–14%), Portugal (–17%) und Dänemark (–17%) schlugen Sonderfaktoren in einzelnen Sektoren (Banken) und in hochgewichteten Einzeltiteln (Novo Nordisk) negativ zu Buche.
Obligationen
Obligationen bester Qualität erlitten so hohe Quartalsverluste wie seit Langem nicht mehr. Der weltweit investierte Index von JP Morgan gab im Schlussquartal 2016 satte 8% nach. Umso erstaunlicher ist, dass er im Jahresverlauf dennoch einen Gewinn von knapp 2% erzielte. Kleinere Sprünge vollbrachten in Franken gehandelte Anlagen mit dem Gütesiegel «Investment Grade», also Anleihen mit einer Bonität zwischen BBB und AAA. Ihr Verlust von 2% im vierten Quartal liess den Jahresgewinn auf 1% schrumpfen. Keine Ausnahmen an den weltweiten Anleihenmärkten gab es in Bezug auf die Renditekurven: Sie wurden überall steiler, d. h. der Renditeunterschied zwischen «Langläufern» und den entsprechenden Obligationen mit kurzer Laufzeit stieg deutlich an. Diese Entwicklung dürfte als Folge besserer wirtschaftlicher Aussichten interpretiert werden.
Rohwaren
Der Anstieg der Rohwarenpreise übertraf die Erwartungen vieler Experten. Kupfer notierte zum Jahresende 5500 Dollar pro Tonne und somit 15% über den Schätzungen. Bei den Edelmetallen konnte Platin nur einen Jahresgewinn von 4% verbuchen, aber der Goldpreis liess mit einem Plus von 9% den von Schweizer Banken erwarteten Zuwachs von 1% deutlich hinter sich. Der Sieger unter den Edelmetallen war Silber – dank seiner Verwendungsmöglichkeiten in der Industrie realisierte der Silberpreis einen Wertzuwachs von 18%. Treffsicher zeigten sich die Auguren bei der Ölsorte Brent, wo der Preis von 54 Dollar pro Fass per Ende Dezember nur unwesentlich von der Prognose von 53 Dollar abwich.
Immobilien
Die im vierten Quartal steigenden Zinsen konnten den Immobilienanlagen nur wenig anhaben. Trotz einer Konsolidierung zwischen Oktober und Dezember 2016 erzielten Fondsanlagen in der Schweiz einen Jahresgewinn von 7%. Damit verwiesen sie die «Konkurrenz» aus dem Schweizer Obligationen- und Aktienmarkt klar auf die hinteren Plätze. US-Immobilienfonds erwirtschafteten sogar eine noch bessere Rendite, und einzig die Spezialsituation in England (Brexit) sorgte für Enttäuschung unter den Immobilienanlegern. Der Kursverlust von 9% in Pfund wäre noch halbwegs zu verkraften, aber in Franken rechnende Anleger mussten bei britischen Immobilien ein Minus von 22% für das Gesamtjahr hinnehmen.
Währungen
Für die Schweizer Exportwirtschaft war die Entwicklung der beiden wichtigsten Devisen neutral. Der Dollar legte gegenüber dem Franken dank dem starken Schlussquartal um 2% zu, wogegen der Jahresverlust von 2% im Euro vollständig zu Lasten des vierten Quartals ging. Der hohe Wertverlust der britischen Währung wird etwas vorschnell dem Brexit untergeschoben, doch das Pfund gab schon im ersten Quartal – also vor der Abstimmung im Juni – um knapp die Hälfte des Jahresverlusts von 14% nach. Die grössten Verwerfungen erlitten Währungen der Schwellenländer. Der venezolanische Bolivar und das ägyptische Pfund erlitten Einbussen von über 30 respektive 50%, der russische Rubel und der brasilianischen Real beendeten das Jahr hingegen mit einem Plus von mehr als 20%. Siegerwährung der Industriestaaten ist die isländische Krone. Die schrittweise Aufhebung der nach der Finanzkrise auferlegten Restriktionen verhalf der Inselwährung zu einem Anstieg von 13% gegenüber dem Franken.