Autor: Jacques Stauffer
Rückblick und Ausblick
Politische Börsen haben kurze Beine. Auch dieses Jahr?
Zu behaupten, dass sich die Märkte nicht um die Politik kümmern, greift zu kurz. Politische Ereignisse führen immer wieder zu deutlichen Marktschwankungen, und die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA löst in Fachmedien einmal mehr eine intensive Diskussion aus: Haben politische Börsen kurze Beine, oder vermag die Politik die Kapitalmärkte nachhaltig in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen? Dabei scheinen sich die beiden Meinungen zurzeit die Waage zu halten. Weshalb?
Objektiv betrachtet, sind beide Standpunkte gut vertretbar – denn sie unterscheiden sich im Wesentlichen nur in Bezug auf die betrachtete Zeitperiode. Kurzfristig können politische Ereignisse die Börsenentwicklung tatsächlich massgebend beeinflussen. Längerfristig hat die Politik jedoch eine eher bescheidene Wirkung auf die Börsenkurse. Die dominante Einflussgrösse ist und bleibt das Zinsniveau und somit der Preis des Geldes. Unbestritten ist auch, dass die Wirtschaftsentwicklung sowie die fundamentale Verfassung und die Rahmenbedingungen einer Volkswirtschaft langfristig anhaltende Einflussgrössen darstellen.
Mit anderen Worten ausgedrückt: Die Politik beeinflusst die Börsenentwicklung, aber nicht nachhaltig. Gilt diese Grunderkenntnis auch dieses Jahr, oder könnte es anders sein? Die Prognose ist schwieriger denn je, und Entscheidungen müssen gut abgewägt werden. Und auch wenn die Entscheidung bedeutet, den Status Quo im Portfolio beizubehalten, ist das eine aktive Entscheidung.
Anlageklasse | Index | Rendite über 3 Monate, per 30.09.2020 in Basiswährung | Rendite über 12 Monate, per 30.09.2020 in Basiswährung |
---|---|---|---|
Aktien Welt | MSCI World Net USD | 7.93% | 10.41% |
Aktien Schweiz | Swiss Performance Index | 2.32% | 4.02% |
Aktien EM | MSCI Emerging Markets NR USD | 9.56% | 10.54% |
Obligationen Welt | JPM GBI Global Traded TR USD | 2.54% | 6.69% |
Obligationen Schweiz | Swiss Bond Index AAA-BBB TR | 0.86% | -1.37% |
Rohwaren | Thomson Reuters/Jefferies CRB TR USD | 7.67% | -13.96% |
Immobilien Schweiz | SXI Real Estate® Funds TR CHF | 4.00% | 8.16% |
Immobilien Ausland | FTSE EPRA/NAREIT Global TR USD | 2.02% | -16.65% |
Wechselkurs EUR/CHF | 1.44% | -0.77% | |
Wechselkurs USD/CHF | -3.04% | -7.86% |
Lassen wir uns auf ein Experiment ein, und beurteilen wir mögliche Wahlszenarien und ihre direkten Konsequenzen für die Aktienmärkte. Dies vor dem Hintergrund, dass die USA für deutlich mehr als die Hälfte der weltweiten Börsenkapitalisierung stehen, gemessen am umfassenden MSCI All Country World Investable Market Index.
Szenario I
Die politische Landschaft in den USA bleibt, wie sie ist. Die Polarisierung der Bevölkerung setzt sich fort, und die America First-Politik führt zu akzentuierten protektionistischen Tendenzen weltweit.
Szenario II
Die politische Landschaft in den USA steht Kopf, die Demokraten gewinnen den Kampf um das Weisse Haus. Amerika erhält einen neuen Präsidenten; Political Correctness hält wieder Einzug. Es entwickelt sich eine gewisse Verlässlichkeit von Abmachungen und Verträgen.
Szenario III
Die wichtigste Volkswirtschaft der Welt ist handlungsunfähig. Die aktuelle Regierung lässt ihre Macht trotz Wahlniederlage nicht los und blockiert in einer noch nie dagewesenen juristischen Auseinandersetzung alles, was für einen geregelten Staatsbetrieb notwendig ist.
Welches Szenario wünschen Sie sich?
Vielleicht sind Sie nicht sicher, welches Szenario für Ihre Investitionen das Beste ist – und dabei sind Sie in guter Gesellschaft. Inmitten aller Unsicherheiten könnte eine Einschätzung wie folgt aussehen:
Alle drei Szenarien könnten katastrophale Folgen für die Finanzmärkte haben. Die Risiken stehen in keinem Verhältnis zu den Chancen. Der Anlageentscheid lautet: dezidierte Rückführung risikobehafteter Anlagen, Kauf von Gold, Erhöhung der Liquidität.
oder
Die Politik bestimmt nur vorübergehend, was an den Märkten passiert. Welches Szenario sich auch immer abspielt, die Märkte werden die wirtschaftliche Erholung zum Anlass nehmen, weiter anzusteigen – egal, ob die erste Reaktion positiv oder negativ war.
oder
Sie wählen das Szenario aus, das Ihnen am wahrscheinlichsten scheint, und verbinden Ihre Erwartungen an die Börse mit diesem Szenario. Das Problem ist, dass zwei Dinge falsch laufen können: Ein anderes Szenario trifft ein, oder das gewählte Szenario hat eine unerwartete Konsequenz.
Diversifikation und ein disziplinierter Investitionsansatz sind aufgrund der Vielfalt der möglichen Szenarien und ihrer weit divergierenden Folgen das Gebot der Stunde.
Ausblick Risk Regime Investing (RRI)
Eine systematische Vorgehensweise ist, die Meinung aller Marktteilnehmer abzufragen und ihre Aktivitäten anhand ihrer Positionierung zu überprüfen. Unsere proprietären Risikoindikatoren verfolgen diese Marktaktivität und vergleichen sie mit der mittelfristigen Vergangenheit. So können wir Veränderungen im Verhalten aller Anleger als Gradmesser ihrer Erwartungen nutzen. Das ist keine unsichere oder willkürliche Auswahl eines Szenarios und auch keine fragile Beurteilung der Konsequenzen des gewählten Szenarios auf die Börsenentwicklung. Es handelt sich um die Einschätzung der Investorenpopulation, und diese Einschätzung ist der wichtigste Treiber der künftigen Marktentwicklung. Sie führt nur selten zu Überraschungen, da sich Investoren in ihrer grundfesten Überzeugung nicht leicht umstimmen lassen – und dies schon gar nicht von politischen Ereignissen bzw. einer Präsidentschaftswahl.
Zurzeit scheinen die Investoren der Ansicht zu sein, dass der von der Covid-19-Krise verursachte, dramatische Wirtschaftseinbruch einer stetigen wirtschaftlichen Erholung Platz machen wird. Wir beobachten ein moderates systemisches Risiko, das eine erstaunliche Zuversicht der Investoren signalisiert. Die anhaltend expansive Geldpolitik und die zusätzlichen Unterstützungsmassnahmen der Notenbanken zur Eindämmung der Krise führen dazu, dass die bereits im Überfluss vorhandene Liquidität noch weiter aufgebaut wird. In einem solchen Szenario scheint das Festhalten an Sachwerten die einzig richtige Strategie zu sein, und diese Einschätzung wird von den meisten Investoren geteilt. Der Verlauf unseres Global Systemic Risk Index bestätigt dieses optimistische Bild.
Ausblick Quantitative Stock Selection (QSS)
Eine sorgfältige Titelauswahl, die allen objektiven und somit messbaren Gegebenheiten Rechnung trägt, kann substanziellen Mehrwert generieren. Das ist unsere Überzeugung, die sich in den letzten Monaten eindrücklich bewiesen hat. Die QSS-Mandate haben hervorragende Resultate erzielt, die wir am Beispiel unseres Europa-Portfolios PAReurope aufzeigen möchten:
Performance per 30. September 2020 in Euro
über 3 Monate | über 12 Monate | seit Beginn (2016) | |
---|---|---|---|
PAReurope | 7.37% | -4.79% | 11.32% |
MSCI Europa Index (net return) | 0.10% | -7.76% | 10.63% |
Europa ist zweifelsohne ein über viele Jahre zurückgebliebener Markt. Im Vergleich zu anderen Kontinenten hätte seine Entwicklung nicht enttäuschender ausfallen können. Der Nasdaq Composite Index hat seit Beginn der Hausse im Jahr 2009 um stolze 547 Prozent besser abgeschnitten als der alte Kontinent. Die Differenz des EuroStoxx zum Nikkei 225 oder zum Dow Jones fällt zwar weniger extrem aus, aber der europäische Markt schneidet dennoch viel schlechter ab. Es scheint, als würde Europa den Anschluss vollständig verlieren und in die Bedeutungslosigkeit zurückfallen. Ist dem tatsächlich so, oder übertreibt die Börse einmal mehr? In den vergangenen zehn Jahren trat Europa nahezu auf der Stelle:
Index | Performance der letzten 10 Jahre in CHF |
---|---|
EuroSTOXX | 8.37% |
STOXX Europe 600 | 12.30% |
SMI | 61.39% |
SMI Mid Caps | 98.97% |
Dow Jones | 144.64% |
Nasdaq Composite | 444.64% |
MSCI Japan | 39.79% |
Auf allen Ebenen sind Schwächen zu erkennen, die nicht einfach so beseitigt werden können. Zudem geht es an den Kapitalmärkten um relative Attraktivitäten. Je deutlicher verschiedene Märkte divergieren, desto attraktiver wird die Zukunft des Primus eingeschätzt. Vor noch nicht allzu langer Zeit (anlässlich der globalen Finanzkrise) notierte der Nasdaq unter 1500 Punkten. Niemand wollte etwas von Technologiewerten wissen, weil die Internetblase unlängst geplatzt war und volatile Titel ohne laufende Erträge wenig attraktiv erschienen. Im Gegensatz dazu antizipiert die Börsenwelt zurzeit, dass diese damals verschmähten Unternehmen ihre einzigartige Geschäftsentwicklung der letzten zwölf Jahre ungehindert fortsetzen werden – ohne Einflussnahme, ohne Störfaktoren, ohne Rückschläge, ohne Konkurrenz. Die Geschichte lehrt uns, dass jede Hochkonjunktur einen Niedergang erlebt. Sie lehrt uns aber auch, dass die schlechteste Gegend einer Stadt plötzlich zum gefragten Stadtviertel mutieren kann.
Das heute verschmähte Europa scheint unter Investoren als das schlechteste «Stadtviertel» des Globus zu gelten. Machen sie die Rechnung ohne den Wirt? Haben sie vergessen, dass Europa eine einzigartige Vielfalt und langjährige Werte aufweist, mit einem meist mündigen Souverän? Wo erleben wir schwierigere demokratische Prozesse als in Europa, und sind sie nicht auch ein Zeichen der Stärke? Die Alternative ist, Verträge in Frage zu stellen, das eigene Interesse als einzige Maxime durchzusetzen und den vermeintlichen Gegner bei der nächsten Gelegenheit zu demütigen. Europa hat beileibe nicht alles richtig gemacht, aber auch nicht sehr viel falsch. In Bezug auf seine relative Attraktivität hat der Aktienmarkt Europa ansehnliches Potenzial.
Globale Finanzmärkte – Rückblick
Aktien
Das erste Quartal 2020 brachte Einbussen in zeitweise fast präzedenzlosem Ausmass; das zweite Quartal lieferte die markante Gegenbewegung mit hohen Wertsteigerungen. Das dritte Quartal übernahm die positive Dynamik der drei Vormonate, allerdings abgebremst und unter immer noch deutlich erhöhter Volatilität. Der Aktienindex MSCI World schloss das Quartal mit einem Plus von 8,05%, Schwellenlandaktien gemessen am MSCI Emerging Markets avancierten 9,70%. Der SPI verzeichnete von Juli bis September einen Gewinn von 2,32%. Europäische Aktien hinkten den amerikanischen Börsen hinterher; wobei der Nasdaq einmal mehr das Tableau anführte. In Franken rechnende Anleger erlitten bei in Dollar denominierten Valoren spürbare Währungsverluste.
Obligationen
Obligationen mit Anlagequalität setzten ihre seit Jahresanfang positive Entwicklung auch im dritten Quartal fort, ihre Performance lässt jedoch zu wünschen übrig. Der weltweit investierte Index von JP Morgan legte von Juli bis September 2,54% zu, was in Franken gerechnet nur einer Wertentwicklung von –0,58% entspricht. Frankenanleihen mit einer Bonität zwischen BBB und AAA erzielten im dritten Quartal eine Rendite von 0,68%. Der Renditeunterschied zwischen Frankenanleihen mit kurzer und mit langer Laufzeit hat sich im dritten Quartal kaum verändert.
Rohwaren
Rohstoffe waren diejenige Anlageklasse, die im ersten Quartal am stärksten unter die Räder kam. Die Rohwarenpreise haben im zweiten und dritten Quartal einen Teil ihrer Verluste wettgemacht, sind mit einem Minus von rund 20% seit Jahresbeginn aber immer noch im tiefroten Bereich. Nach den unglaublichen Verwerfungen am Ölmarkt Mitte April stabilisierte sich der Preis für ein Fass Rohöl der Sorte WTI im dritten Quartal in der Nähe von 40 Dollar. Gold überschritt Anfang August die magische Marke von 2000 Dollar und erreichte gar ein Allzeithoch; mit einem Plus von 25% seit Anfang Januar wurde Gold seinem Status als sicherer Hafen mehr als nur gerecht. Der breit gefasste Rohwarenindex CRB kletterte im dritten Quartal 7,67% in die Höhe (in Franken 4,39%).
Immobilien
Seit Anfang Jahr ebenfalls noch tief im Minus sind die internationalen Immobilienmärkte. Schweizer Immobilien gemessen am SXI Real Estate Funds Index hielten und halten sich vergleichsweise gut. Sie avancierten im dritten Quartal anständige 4%, was seit Jahresbeginn immerhin einem Wertzuwachs von 2,30% entspricht. Ausländische Immobilienanlagen legten 2,02% zu (in Franken –1,08%), dies nach einem 30%-igen Preiseinbruch im ersten und einem Anstieg von 10% im zweiten Quartal. Die Situation für kommerzielle Liegenschaften dürfte nach wie vor schwierig bleiben und unter den Folgen und den strukturellen Veränderungen leiden, die die Covid-19-Pandemie nach sich zieht.
Währungen
Als Reaktion auf die Covid-19-Krise fluteten die Zentralbanken im Frühjahr weltweit die Märkte mit Liquidität, das Fed senkte die Zinsen auf null, und die EZB wartete mit neuerlichen, noch nie dagewesenen Massnahmen auf. Da diese Politik der Notenbanken die Finanzmärkte zuerst stabilisierte und danach wieder beflügelte, musste der Dollar als Folge der Marktberuhigung deutliche Abgaben verzeichnen. Gegenüber dem Franken gab der Greenback im dritten Quartal 3,04% nach, seit Anfang Jahr sind es –5,12%. Der Euro notierte zum Franken Ende September 1,44% höher als Ende Juni und 0,54% tiefer als zum Jahresbeginn. Gegenüber dem Dollar legte die Einheitswährung im dritten Quartal 4,41% und seit Anfang Januar 4,47% an Wert zu.