Autor: Jacques Stauffer
Rückblick
Die Märkte haben seit Jahresbeginn einiges verkraften müssen: ein Paradigmenwechsel, veränderte Zinsaussichten, steigende Inflation, geopolitische Spannungen und Krieg.
Die internationalen Aktienmärkte erlitten im ersten Quartal 2022 kurzfristige und teilweise heftige Korrekturen. Ab Mitte März zeigten sie sich jedoch in einem volatilen Umfeld und trotz des anhaltenden Kriegs in der Ukraine, Inflationsängsten und der ersten Zinserhöhung der US-Notenbank Fed erstaunlich robust.
Mit Ausnahme der Rohwaren verzeichneten alle wichtigen Anlagenklassen per Ende März Verluste; Rohstoffe legten wegen der explodierenden Energiepreise fast 30 Prozent zu. Dieser Marktkorrektur sind durchaus positive Seiten abzugewinnen, und sie lässt auf eine gesunde Entwicklung – mit vernünftigem Erholungspotenzial – schliessen. Die Realwirtschaft war im ersten Quartal solide. Auf Nachfrageseite ist der Nachholbedarf immer noch gross, das Angebot ist hingegen nach wie vor eingeschränkt, dies aufgrund anhaltender Engpässe in den Lieferketten, Rohwarenknappheit und eines Mangels an qualifizierten Arbeitskräften.
Das alles überschattende Thema des abgelaufenen Quartals ist die russische Invasion in die Ukraine. Nach sieben Wochen Krieg steht Russland vor einem Scherbenhaufen. Putin war schlecht beraten und hat die Gegenwehr der Ukrainer deutlich unterschätzt, die Moral der eigenen Streitkräfte und den Zustand seines Kriegsmaterials hingegen massiv überschätzt. Der Krieg isoliert Russland wirtschaftlich und politisch und wirft das Land um Jahrzehnte zurück.
Der Krieg hat zu schrecklichem menschlichem Leid geführt. Die wirtschaftlichen Folgen gehen weit über die vom Westen verhängten Sanktionen gegen die russische Regierung, bestimmte Unternehmen und Privatpersonen hinaus. Zurzeit bezieht die Europäische Union fast die Hälfte ihres Gasbedarfs sowie 25 Prozent der Ölimporte und 45 Prozent der Kohleimporte aus Russland. Gemäss ersten Expertenschätzungen kostet der Krieg Russland 500 Mio. Dollar pro Tag; die Einnahmen aus Öl- und Gasexport betragen rund 750 Mio. Dollar pro Tag. Der Westen finanziert also die russische Invasion – und der Druck auf Europa, andere Energielieferanten und -quellen zu erschliessen, wird weiter steigen. Der Krieg hat die Nordstream-2-Pipeline zu einer 11 Mrd. Euro teuren Ruine gemacht und wird wohl höchstens in fernerer Zukunft in Betrieb genommen, wenn überhaupt.
Die höchste Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland verzeichnet Deutschland, und das Land verliert dadurch an Wirtschaftskraft. Für die zusätzliche und erzwungene Energiewende werden Deutschland und ganz Europa einen wahren Kraftakt stemmen müssen – was jedoch grosse und nachhaltige Würfe möglich machen könnte.
Fehlender Handlungsspielraum der Notenbanken
Die Inflation zieht weiter an und zwingt die Zentralbanken früher oder später zum Handeln. Das Fed hat den ersten Schritt gemacht und Mitte März zum ersten Mal seit Dezember 2018 den Leitzins angehoben. Die Bilanz des Fed wird im Verlauf des Jahres 2022 ebenfalls reduziert werden. Es stellt sich die spannende Frage: Lenken die Notenbanken die Wirtschaft proaktiv mit einer überlegten Geldpolitik in die gewünschte Richtung, oder sind sie «behind the curve», also hinken sie den Entwicklungen hinterher? Letzteres trifft für Fed und EZB zu. Beide Notenbanken haben auf dem aktuellen Zinsniveau nicht genügend Handlungsspielraum – und sie haben die Normalisierung der Geldpolitik vor zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie verpasst. Die geopolitische Situation und die damit verbundene Energieknappheit erhöht die Komplexität.
In diesem Umfeld haben Nominalwerte eine Korrektur eingeschlagen. Sachwerte halten sich erstaunlich gut; dies obwohl sie – oder eben gerade weil sie – ein gewisses Risiko beinhalten und somit eine Risikoprämie abwerfen.
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Ausblick
Um die Welt zu verändern, müssen wir andere Energie konsumieren
Die jüngsten geopolitischen Entwicklungen haben die Ausgangslage und die wirtschaftlichen Aussichten verschiedener Länder massiv beeinflusst. So fallen die Performancezahlen der Aktienmärkte für das erste Quartal 2022 denn auch höchst unterschiedlich aus. Brasilien führt die Tabelle mit einem Plus von 16% an; Russland bildet mit einem Einbruch von 27% das Schlusslicht. Die Eurozone liegt mit einem Verlust von 10% hinter anderen Industrienationen, wie z.B. den USA, Japan oder der Schweiz, die rund 5% nachgaben. In Asien besetzt Taiwan den Spitzenplatz, und in den Schwellenländern insgesamt hat Lateinamerika die Nase weit vorn, während Osteuropa deutlich abfällt.
Wie schnell sich ein Land wirtschaftlich in die Sackgasse manövrieren kann, demonstriert Russland. Trotz aktuell noch sprudelnder Erträge aus Öl, Gas und weiteren Rohstoffen zeichnet sich ein politisches und wirtschaftliches Desaster ab. Putin wird der grosse Verlierer sein.
Wie geht es nun weiter? Die Teuerung wird auf hohem Niveau verharren oder sogar noch ansteigen; Zinserhöhungen werden wahrscheinlicher. Nominale Werte sind zu meiden, reale Werte mit Weitsicht auszuwählen. Von einer invertierten Zinskurve zu sprechen – wie das manche Stimmen tun –, ist jedoch verfehlt. Die genaue Betrachtung der Dollar-Zinsen zeigt, dass «bloss» ein markanter Zinsanstieg der 2-jährigen auf das Niveau der 10-jährigen Staatsanleihen stattgefunden hat. Dies ist keine Inversion, und die Investoren dürfen ihren Risikoappetit vorerst behalten.
Wir favorisieren nach wie vor die beiden Faktoren (Styles) Value und Low Risk, die das Potenzial für eine überdurchschnittlich gute Wertentwicklung haben. Vielversprechende Investitionschancen bieten ausgewählte Unternehmen der (zinssensitiven) Finanzbranche sowie Energie- und Rohstoffproduzenten. Unter den disruptiven Industrien setzen wir vor allem auf alternative Energien (Sonnenenergie, Windenergie und Wasserstoff) – nur sie können die Energiepreisinflation dämmen. Der kriegsbedingte Energiepreisschock hat gezeigt, dass der Energiesektor nicht in der Lage ist, auf einen plötzlichen Nachfrageanstieg zu reagieren. Versorgungslücken können mit den bestehenden Kapazitäten der erneuerbaren Energien noch nicht geschlossen werden. Das muss und wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ändern.
Es sind jedoch auch Risiken auszumachen. Sie basieren einerseits auf dem Paradigmenwechsel der Zinspolitik und den unsicheren Inflationserwartungen. Andererseits findet in vielen Bereichen eine Lokalisierung (Entglobalisierung) statt: diese Sektoren werden teurer und fragmentierter.
In den kommenden Wochen und Monaten dürften sich die vom Krieg ausgelösten Turbulenzen beruhigen, was im zweiten Quartal zusammen mit einer «Investitionspanik» zu namhaften Übertreibungen führen könnte. Diese Übertreibungen könnten als Chance zum Abbau der Aktienquote genutzt werden, bevor in der zweiten Jahreshälfte eine deutliche Korrektur möglich wäre.
Risikoindikatoren
Unser Risikoindikator, der Global Systemic Risk Indicator (Global SRI), der sich seit Frühjahr 2021 auf tiefem Niveau seitwärts bewegt hat, ist im März nochmals gesunken. Das signalisiert überaus robuste Märkte, die systemischen Risiken an den Kapitalmärkten – und somit die Wahrscheinlichkeit einer akzentuierten Verwerfung – sind weiterhin gering.
In solchen Phasen wird das eingegangene Risiko mit einer vorteilhaften Rendite honoriert. Deshalb sollte es sich in den nächsten Monaten lohnen, das mit Aktienengagements einhergehende Risiko einzugehen.
Der Global SRI stellt die gewichtete Kombination der drei regionalen SRI (USA, Europa, Asien-Pazifik) dar. Der Blick auf die Kontinente zeigt einen leicht fallenden Risikoindikator für Europa, und einen stark fallenden für Amerika – ein zur geopolitischen Lage kongruentes Bild, das die systemischen Risiken in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen in Osteuropa spiegelt. Aus dem Rahmen fällt der leicht anziehende SRI in Asien. Diese Entwicklung – und vor allem ein Auseinanderdriften der regionalen Risikoindikatoren – muss in den kommenden Monaten genau beobachtet werden.
Historisch betrachtet ging einem substanziellen Marktrückgang immer eine rapide und akzentuierte Erhöhung des SRI voraus. Der SRI wird von uns prioritär als Globaler SRI und über die drei wichtigsten Kontinente USA, Europa und Asien gerechnet. Die Entwicklung dieser drei regionalen Indikatoren läuft aktuell äusserst parallel, was die Aussage des Globalen SRI zusätzlich untermauert. Die Märkte sind zurzeit robust und versprechen weiterhin hohe Renditen. Solange der SRI nicht auf einen Wert von über –1 ansteigt, sollte an einem Übergewicht an Sachwerten festgehalten werden. Bei einem Niveau von über +1 wäre ein Untergewicht an Sachwerten angezeigt.
Globale Finanzmärkte - Rückblick 2021
Aktien
Die Drohgebärden Russlands gegenüber der Ukraine und der Ende Februar nachfolgende Einmarsch der russischen Truppen führten im Februar und Anfang März zu einem temporären Ausverkauf an den internationalen Aktienmärkten. Der S&P 500, zum Beispiel, verzeichnete zum Tief am 8. März einen Verlust von 13% seit Anfang Jahr. Im weiteren Verlauf des Monats drehten die Aktienbörsen jedoch bereits wieder fulminant ins Plus, dies trotz deutlich erhöhter Volatilität und vielen Unsicherheiten rund um die weiteren geopolitischen und wirtschaftlichen Folgen des Kriegs. Der Weltaktienindex MSCI World schloss das erste Quartal mit einem Minus von 5,15% (in Fran-ken –4,21%), der SPI verlor –5,51%. Schwellenlandaktien gemessen am MSCI Emerging Markets verzeichneten ebenfalls Abgaben und notierten Ende März –6,98% (in Franken –6,05%) tiefer als Anfang Januar. In Franken rechnende Anleger erzielten bei in Dollar denominierten Valoren einen kleineren Währungsgewinn.
Obligationen
Festverzinsliche Wertpapiere setzten ihre schwache Performance des Jahres 2021 im ersten Quartal 2022 fort. Obligationen litten unter den Ankündigungen verschiedener Notenbanken, ihre Anleihenkaufprogramme reduzieren und die Leitzinsen erhöhen zu wollen. (Das Fed liess Mitte März Worten einen ersten Zinsschritt folgen.) In der Folge erlitten Obligationen mit Anlagequalität von Januar bis März deutliche Verluste. Der weltweit investierte Index von JP Morgan verlor im Quartalsverlauf 6,24% an Wert (in Franken –5,30%). Frankenanleihen mit einer Bonität zwischen BBB und AAA gaben mit einer Negativrendite von –6,06% ebenfalls nach. Der Renditeunterschied zwischen Frankenanleihen mit langer und mit kurzer Laufzeit ist von Januar bis März angestiegen.
Rohwaren
Rohstoffe waren im ersten Quartal die einzige Anlageklasse, die eine positive Performance zeigte – und zwar über alle Sektoren hinweg. Der Energiesektor lieferte eine rekordverdächtige Wertentwicklung, mit Folgen, die uns noch lange beschäftigen werden. Der breit gefasste Rohwarenindex CRB avancierte von Januar bis März stolze 27,13% (in Franken 28,40%), angetrieben von den explodieren Rohöl- und Gasnotierungen. Erstmals seit sieben Jahren notiert Öl mehr als 100 Dollar – der Preis für ein Fass Rohöl der europäischen Sorte Brent kletterte im ersten Quartal 32,70% in die Höhe. Gold avancierte trotz der Krisensituation um moderate 6,80%. Das edle Metall befindet sich im Spannungsfeld zwischen seiner Funktion als sicherer Hafen und der angekündigten geldpolitischen Normalisierung. Ende März kostete die Unze Gold 1937 Dollar.
Immobilien
Die im letzten Jahr ausserordentlich starken Immobilienmärkte mussten im ersten Quartal 2022 ebenfalls Abgaben verzeichnen. In Immobilien investierte Wertpapiere litten unter der geopolitischen Lage, Inflationsängsten und neuen Zinsszenarien. In den physischen Immobilienmärkten ist jedoch noch keine Schwäche zu erkennen. Ausländische Immobilienanlagen gaben von Januar bis März 3,38% nach (in Franken –2,39%). Schweizer Immobilien legten performancemässig ebenfalls eine Kehrtwende hin – der SXI Real Estate Funds Index verlor im ersten Quartal 4,17% an Wert.
Währungen
Das turbulente erste Quartal, die vor allem in den USA in die Höhe schnellende Inflation, die anlaufende Abkehr der ultraexpansiven Geldpolitik und der Ausbruch des Krieges in der Ukraine liessen auch die Devisenmärkte nicht kalt. Seit Anfang Jahr festigte sich der Dollar gegenüber dem Franken um 1%. Gegenüber dem Euro stand der Franken unter Aufwertungsdruck: Die für die Schweizer Wirtschaft so wichtige Einheitswährung setzte ihre Schwächephase fort und gab zum Franken 1,18% nach; am 4. März fiel der Euro zum Franken gar auf Parität. Gegenüber dem Greenback verlor der Euro von Januar bis März 2,16%.