Rückblick
Mehr Stressfaktoren – Wahrscheinlichkeit von deutlichen Marktrückschlägen steigt.
«Zinsen sind der Sex-Appeal des Geldes.» (Erwin Koch, deutscher Aphoristiker, *1932)
Seit über zwei Jahren haben immer mehr europäische Länder die Möglichkeit, sich mit kurz laufenden Staatsanleihen nicht nur zum Nulltarif zu refinanzieren, sondern bei der Kreditaufnahme sogar richtig Geld zu verdienen: Negative Zinsen machen’s möglich. Im Euroraum, in Schweden und Dänemark werden Einlagen von Geschäftsbanken bei den Notenbanken bereits seit längerem negativ verzinst, nun zieht auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) mit: In ihrer Mitteilung vom 18. Dezember hat sie ihre Absicht bekräftigt, den Mindestkurs des Euros zum Franken zu verteidigen, und hat hinzugefügt, dass sie am 22. Januar 2015 das Zielband für den Dreimonats-Libor in den negativen Bereich senken werde. Sie ist somit die erste Notenbank, die den Leitzins sogar unter null herabsetzt. Diese Aussage ist jedoch bereits Makulatur: Am 15. Januar hat die SNB unerwartet die Aufhebung des Mindestkurses bekannt gegeben und Aktien- und Devisenmärkte in Aufruhr versetzt. Das Überschiessen der Devisenmärkte war exemplarisch: Temporär legte der Franken gegenüber Euro und Dollar fast 40% zu. Bis am Abend des 15. Januars büssten der Euro und der Dollar gegenüber dem Franken 14%, resp. 13% an Wert ein. Trotz der flankierenden Massnahme der SNB, die Negativzinsen noch zu verstärken, dürfte der Franken seinen Sex-Appeal – zumindest in der kurzen Frist – behalten.
Der Franken verlor gegenüber dem US-Dollar im letzten Jahr massiv an Terrain. Hauptgrund dieser Entwicklung war die von der SNB vor über drei Jahren beschlossene Bindung (Peg) an den schwachen Euro, die aber erst seit August 2014 zu einer deutlichen Höherbewertung der amerikanischen Valuta führte. Die «SNB-Bombe» hat diese Entwicklung zu einer abrupten Kehrtwende gebracht. Der Dollar kostet heute so viel wie vor einem Jahr, sämtliche Gewinne wurden an einem Tag vernichtet. Aber mittelfristig wird für die weitere Kursentwicklung des Frankens entscheidend sein, wie attraktiv er für Anleger erscheint. Erste Spekulationsgewinne dürften schon eingefahren sein. Die starken Negativzinsen und die Auferstehung des Dollars wegen der einbrechenden Rohwarenmärkte, machen den Franken im Vergleich zum Dollar mittelfristig nicht sehr attraktiv. Gegenüber dem Euro hingegen dürfte er an Stärke zulegen, das Thema Zinserhöhungen dürfte – nur schon aus Sorge um höheren Deflationsdruck – für lange Zeit vom Tisch sein.
Die erfreuliche Entwicklung an den Aktien- und den Obligationenmärkten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Stressfaktoren in den letzten drei Monaten vor Jahresende verstärkt haben. Der Jahresverlust der Rohwaren von durchschnittlich insgesamt 18% fand im letzten Quartal unter der Führung der europäischen Ölsorte Brent und des amerikanischen WTI (West Texas Intermediate) statt. Es ist anzunehmen, dass sich die Verluste in Rohöl von über 40% negativ auf die Wirtschaft der ölexportierenden Nationen – und auch auf die USA – und damit auf die Finanzmärkte auswirken werden.
Ausblick
«Politiker sind wie Fotografen: Sie entwickeln das Negative und zeigen es uns als positiv.» (Margot Brand, *1958)Als einen Sieg für die Demokratie bezeichnete Alexis Tsipras, griechischer Politiker und Vorsitzender des linken Parteienbündnisses Syriza, die missglückte Wahl eines neuen griechischen Staatspräsidenten anlässlich der Parlamentssitzung kurz vor dem Jahresende. Damit sieht die Verfassung zwingend Neuwahlen vor. Sie dürften am 25. Januar den radikalen Linken zwar nicht die absolute Mehrheit bringen, sie aber wahrscheinlich zur stärksten Kraft im Parlament befördern. Das von Tsipras angekündigte Ende der Austeritätspolitik und das damit verbundene Abdriften vom bisherigen Sparkurs könnten durchaus eine ungeahnte Entwicklung nach sich ziehen. Der Internationale Währungsfonds (IMF) hat bereits angekündigt, die Beratung weiterer Unterstützungsmassnahmen erst nach der Parlamentswahl fortzusetzen. Was in Griechenland als positiv verkauft wird, könnte negative Folgen für die Finanzmärkte haben.
Anlageklasse | Index | Rendite über 3 Monate per 31.12.2014 | Rendite über 12 Monate per 31.12.2014 |
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Aktien Welt | MSCI World Net USD | 1.01% | 4.94% |
Aktien Schweiz | Swiss Performance Index | 1.86% | 13.00% |
Obligationen Welt | JPM GBI Global Traded TR USD | -0.91% | 0.67% |
Obligationen Schweiz | Swiss Bond Index AAA-BBB TR | 2.10% | 6.82% |
Rohwaren | Thomson Reuters/Jefferies CRB TR USD | -17.44% | -17.90% |
Immobilien Schweiz | SXI Real Estate® TR | 6.41% | 14.99% |
Wechselkurs EUR/CHF | -0.30% | -2.16% | |
Wechselkurs USD/CHF | 3.58% | 10.06% |
Aufgrund des steigenden Potenzials für grössere Schwankungen an den Finanzmärkten reduzierten wir Anfang Oktober unser deutliches Übergewicht in den Realwerten (Aktien, Immobilien, Rohwaren) von über 70 auf unter 60%, was einen Wechsel vom Zielportfolio 6 ins Zielportfolio 5 bedeutet. Diese nach wie vor offensive Positionierung hielten wir aus saisonalen Gründen bis über das Jahresende hinaus. Das weitere Anziehen des Turbulence Index (TI) und der unmittelbar nachfolgende Anstieg des Systemic Risk Index (SRI) hat zur Folge, dass wir uns in den ersten Januarwochen in die defensivste Positionierung zurückziehen. Das entsprechende Zielportfolio 1 unseres PARtact Profils investiert nur noch 20 bis 25% der Mittel in Realwerte und positioniert sich zur Hauptsache in Nominalwerten wie Obligationen mit kurzer Laufzeit und Liquidität.
Unsere Indikatoren signalisieren eine abnehmende Fähigkeit der Finanzmärkte, schlechte Nachrichten zu verdauen. Konnten sie in den vergangenen drei Jahren die jeweils auftauchenden Hindernisse nach kurzer Zeit überwinden, so zweifeln wir heute daran, dass sich mögliche Verwerfungen schon nach kurzer Zeit auflösen. Unterstützt wird diese Einschätzung von Beobachtungen aus dem Gebiet der verhaltensorientierten Finanzwissenschaft (Behavioral Finance):
- In den Wertschriftendepots der Schweizer Banken befinden sich durchschnittlich 44% Aktien. In den letzten 20 Jahren waren Werte in diesem Bereich gleichbedeutend mit einer Kaufeuphorie der Anleger und einem Einbruch der Aktienkurse im zweistelligen Prozentbereich über die nachfolgenden zwölf Monate.
- Das «Auffangbecken» für schlechte Zeiten sind Obligationen. Diese Anlagekategorie half in den letzten 20 Jahren jeweils, Verluste aus Aktien zu kompensieren. Diese «Sicherheit» wurde über die Zeit deutlich reduziert, und heute machen Obligationen nur noch 23% eines durchschnittlichen Wertschriftendepots aus. Dieser Wert liegt nicht nur markant unter dem langjährigen Durchschnitt von 30%, sondern mit 23% werden gleich wenige Obligationen gehalten wie im Oktober 2007, also kurz vor dem Ausbruch der letzten Finanzkrise.
- Die Konzentration auf immer weniger Industriesektoren innerhalb des amerikanischen Aktienindex S&P 500 hat sich auch im letzten Quartal fortgesetzt. Die beiden grössten Sektoren – Finanzwerte und Informationstechnologie – machen nun mehr als 36% der Gesamtkapitalisierung des S&P 500 aus, dementsprechend hat der positive Diversifikationseffekt des Index abgenommen.
Wir stellen fest, dass die zunehmenden Marktschwankungen die Investoren zwar nervös machen – was an sich positiv für die weitere Marktentwicklung wäre –, dass sie jedoch noch nicht mit entsprechenden Transaktionen reagiert haben. Nach unserer Einschätzung halten sie weiterhin an ihren hohen Aktienpositionen fest. Diese Tatsache erhöht die Wahrscheinlichkeit von signifikanten Marktrückschlägen.
Globale Finanzmärkte – Rückblick
(Vergleiche vorgehende Tabelle)
Aktien
Die von uns hauptsächlich berücksichtigten Märkte in der Schweiz und in den USA erzielten in Franken gerechnet erfreuliche Renditen von mehr als 10% – und dies unter Eingehen geringer Risiken. Dass Aktienanlagen diversifiziert sein sollten, zeigt die Schwankungsbreite von über 100% zwischen der Wertentwicklung der besten und der schlechtesten Märkte. Einerseits waren in Heimwährung in Argentinien 59% zu verdienen, anderseits am russischen Aktienmarkt 45% zu verlieren. Wird berücksichtigt, dass der Peso mit einer Abwertung von 30% gegenüber dem Dollar sogar noch besser als der Rubel mit einem Minus von 65% zum Dollar abgeschlossen hat, ist gar eine Differenz von über 190% auszumachen.
Obligationen
In Dollar rechnende Anleger konnten von fallenden Zinsen bei Staatsanleihen und Obligationen mit hoher Anlagequalität nicht profitieren. Gewinne in den lokalen Anleihenindizes wurden durch deren Währungseinbussen gegenüber dem Dollar ausradiert, sodass mit «Obligationen Welt» über zwölf Monate lediglich 1% verdient werden konnte. Die Ausnahme bildeten die ehemals verschmähten PIGS-Länder (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien); obenauf lagen z.B. portugiesische Staatsanleihen mit einem Gewinn von 35% in Euro gerechnet.
Rohwaren
Rohwaren sind die Hauptverursacher des steilen Anstiegs unserer Risikoindikatoren in den letzten Wochen. Nachdem sie schon während des ganzen Jahres zur Schwäche geneigt hatten, akzentuierte sich der Rückgang unter der Führung der Ölsorten Brent und WTI im vierten Quartal, sodass über zwölf Monate ein Verlust von 48 resp. 46% resultierte. Der Goldpreis schloss das Jahr auf praktisch unverändertem Preisniveau ab (–2%).
Immobilien
Immobilien werden vermehrt als Ersatz für Obligationen verwendet. Vor allem der stetige Cash Flow dürfte als Rechtfertigung dienen, tief rentierende Immobilien dem zunehmenden Angebot negativ verzinster Anleihen vorzuziehen. Anders können die Entwicklung in Schweizer Immobilien (+15%) sowie die in lokaler Währung erreichte Höherbewertung von UK- und US-Immobilienfonds (+21% resp. +30%) über das abgelaufene Jahr nicht erklärt werden.
Währungen
Der Dollar setzte seine Aufwertung ungehindert fort – zumindest bis am 15. Januar 2015. Die prognostizierte Wandlung vom ewigen Ölimporteur zum möglichen Exporteur in den nächsten Dekaden muss sich früher oder später in einer Verbesserung der amerikanischen Handelsbilanz und als Folge davon in einem stärkeren Dollar niederschlagen. In diesem Sinne – zusätzlich zur dynamischeren Verfassung der amerikanischen Wirtschaft – ist der letztjährige Anstieg gegenüber dem Euro (+12%) und dem Franken (+10%) zu sehen. Die SNB hat, wie erwähnt, den Mindestkurs des Euros zum Franken am 15. Januar aufgehoben, und der Dollar wertete im Tagesverlauf 13% zum Franken ab. Das ändert zwar die kurstechnische Ausgangslage, nicht aber die Tatsache, dass die amerikanische Wirtschaft punkto Wettbewerbsfähigkeit Europa und der Schweiz überlegen ist. Der Sprung gegenüber dem Rubel (+65%) basiert allerdings auf zusätzlichen Treibern, die aus russischer Sicht hausgemacht sind: auf der nach wie vor angespannten politischen Situation rund um die Halbinsel Krim, dem Bürgerkrieg in der Ukraine und den resultierenden gegen Russland verhängten Sanktionen. Zusätzlich leidet Russland unter geringeren Einnahmen wegen des eingebrochenen Ölpreises.