Marcel R. Zutter – Der Managing Director der unabhängigen Zürcher Vermögensverwaltungsgesellschaft PARSUMO Capital zum Investieren in turbulenten Zeiten – Interview in der «Finanz und Wirtschaft»Wem es gelingt, Turbulenzen an den Finanzmärkten zu antizipieren, und wer dementsprechend handelt, sollte in der Lage sein, eine überdurchschnittliche Performance zu erzielen. Es ist möglich, Turbulenzen statistisch zu messen und daraus wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, ist Marcel R. Zutter vom unabhängigen Vermögensverwalter PARSUMO Capital überzeugt.
Herr Zutter, Sie und Ihr Unternehmen gelten als Spezialisten für turbulente Märkte. Können Marktturbulenzen tatsächlich antizipiert werden?
Marktturbulenzen lassen sich mit den entsprechenden Mitteln antizipieren. Unser Research ist darauf ausgerichtet, besser zu verstehen, unter welchen Voraussetzungen grössere Marktturbulenzen entstehen. Wir sprechen dabei nicht von 5%-Aktienmarktkorrekturen, sondern von massiveren Rückschlägen, wie wir sie in den letzten zwanzig Jahren mehrere Male erlebt haben. Eine Vermeidung nur schon eines Teils dieser sogenannten Tail Risks führt zu einer deutlichen Performanceverbesserung.
Nun, Antizipieren ist das eine, Vorhersagen des effektiven Eintreffens das andere – das Entscheidendere. Lässt sich der Zeitpunkt des Ausbruchs von Turbulenzen zuverlässig vorhersagen?
Einem substanziellen Marktrückgang gehen quantitativ messbare Umwälzungen der Märkte voraus. Die von uns gemessene Fragilität der Märkte erlaubt es uns, die Wahrscheinlichkeit eines substanziellen Marktrückschlags oder einer Markterholung besser einzuschätzen. Auch wenn sich solche Ereignisse nicht präzise voraussagen lassen, so ist es doch ein substanzieller Vorteil, Aktienmarktrückschläge mit einer signifikanten Wahrscheinlichkeit antizipieren zu können.
Korrelation zwischen Aktien Int. und USA | 1970 – 2008 | |
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Hausse-Märkte * | –17% | Anlageklassen sind unkorreliert in Perioden, in denen Investoren Diversifikation nicht brauchen |
Baisse-Märkte ** | 76% | Anlageklassen sind korreliert in Perioden, in denen Investoren Diversifikation wollen |
Differenz | 93% | |
Korrelation, wenn Renditen eine Standardabweichung * über dem Durchschnitt liegen ** unter dem Durchschnitt liegen Quelle: Parsumo |
Verhält es sich nicht wie bei einem Erdbeben? Wir wissen, dass es irgendwann an der Westküste Amerikas zu einem gewaltigen Beben kommen wird, und dennoch werden dort weiterhin jährlich Milliardenbeträge investiert, weil man hofft, der Schadenfall trete noch lange nicht ein.
Die Tätigkeit des Vermögensverwalters kann man tatsächlich gut mit dem Phänomen Erdbeben vergleichen. Zum einen geht es darum, die Struktur und die Verschiebung der Erdplatten besser zu verstehen. Das führt zur Feststellung, dass Kalifornien ein Hochrisikogebiet ist. Sie hilft allerdings wenig, das nächste Erdbeben einigermassen genau zu prognostizieren. Ähnlich verhält es sich mit den Finanzmärkten. Die Analyse des Makroumfelds, der Konjunktur und der Marktbewertungen ist zwar Grundvoraussetzung für die Vermögensverwaltung, hilft aber auch nur bedingt, präzise Renditeprognosen für die verschiedenen Anlagekategorien abzuleiten. Deshalb sollten, zur Prävention, Häuser stabil gebaut bzw. Portfolios so strukturiert werden, dass sie krisenresistenter sind. Nicht zuletzt braucht es den Seismographen, der die Bewegungen der Erdkruste misst und einen Indikator für künftige Erdbeben darstellt.
Was folgern Sie nun daraus für die Finanzmärkte?
Auch für sie braucht es Indikatoren, die den Zustand der Märkte messen. Die Finanzbranche hat sich traditionell sehr stark mit der Analyse des Makroumfelds und der relativen Bewertung befasst. Wir machen das zwar auch, legen aber genauso viel Wert auf die richtige Portfoliokonstruktion und die kontinuierliche Weiterentwicklung eines Frühwarnsystems.
Kann man, darf man unter diesen Voraussetzungen und Perspektiven überhaupt noch längerfristig in risikoreichere Anlagen – ich denke da vor allem an die Aktien – investieren?
Alle Anleger werden sich dem sich abzeichnenden schwierigen Umfeld der nächsten Jahre stellen müssen, einem Umfeld potenziell geprägt von Inflation, tief rentierenden Obligationen- und Immobilienmärkten, in denen es schwierig ist, noch gute Objekte zu finden. Wir sind davon überzeugt, dass es Perioden geben wird, in denen Aktien als Anlageklasse sehr interessant sein werden. Die Auswahl der richtigen Segmente und das Timing werden aufgrund des herausfordernden Umfelds noch wichtiger werden.
Krisenresistentere Portefeuilles zu erstellen, ist Ihr Ziel. Was darf man von einem solchen Portefeuille erwarten, und wie wird es aufgebaut?
Ein krisenresistenteres Portfolio zeichnet sich dadurch aus, dass es die Höhe des Rückschlags dämpfen kann. Das Grundkonzept der Diversifikation ist dabei nach wie vor gültig, muss aber richtig umgesetzt werden. Die Optimierung der Portfolios anhand historischer Durchschnittswerte funktioniert nicht wirklich. Wie man in Zeiten wie 2008 sieht, gehen plötzlich alle Submärkte in die gleiche Richtung, und die traditionelle Diversifikation funktioniert nicht mehr. Wir richten in unserem Prozess das Portfolio speziell auf solche turbulenten Zeiten aus.
Sie haben neuartige Risikoindikatoren entwickelt. Worum geht es hier, auf einen einfachen Nenner gebracht?
Es geht letztlich darum, die Empfindlichkeit der Finanzmärkte für neue marktrelevante Informationen zu messen. Es gibt Zeiten, da sind die Märkte sehr resistent und können viele negative Nachrichten gut absorbieren. Und es gibt Perioden, in denen ein starker Anstieg des Ölpreises, um ein Beispiel zu nehmen, nicht nur die Airlineaktien beeinflusst, sondern den ganzen Markt nach unten ziehen kann. Sind Märkte fragil oder empfindlich, ist die Voraussetzung für grössere Rückschläge gegeben. Das heisst nicht, dass sie immer eintreffen, allein die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses steigt drastisch. Unsere Indikatoren sind in diesem Sinne Seismographen, die als Frühwarnsystem dienen und uns erlauben, das Risiko der Portfolios rechtzeitig zu erhöhen oder zu reduzieren.
Wie schätzen Sie die Lage ein, befinden wir uns heute in überdurchschnittlich turbulenten und risikoreichen Zeiten?
Die stabile Verfassung der Märkte der Jahre 2009/2010 hat sich in den letzten zehn Monaten mit einer steigenden Unsicherheit angereichert. Seit Juli beobachten wir eine markante Versteifung der Marktverhältnisse. Heute können wir von eng verbundenen Märkten sprechen, und die hohe Volatilität kann zu einem grossen Teil auf wenige Faktoren zurückgeführt werden. Wir müssen deshalb von einer fragilen Lage reden. Der Markt ist heute nicht in der Verfassung, erneute Schocks ohne weiteres zu absorbieren.
Wie geht es weiter, kommt es noch schlimmer? Was sagen Ihre Indikatoren?
Sollte eine negative, unerwartete Nachricht die Märkte treffen, besteht die Gefahr eines Dominoeffekts. In der heutigen Marktverfassung haben weitere Rückschläge in einem solchen Fall eine hohe Wahrscheinlichkeit. Die Bewertungen der Aktienmärkte sind dagegen interessant. Sollten sich die Faktoren Fragilität, Turbulenz und Verflochtenheit an den Märkten in den kommenden Monaten entspannen, werden wir zu gegebener Zeit das Risikobudget unserer Portfolios wieder erhöhen.
Wir haben in kurzer Zeit zwei grosse Krisen erlebt, in der zweiten stecken wir immer noch. Welches sind Ihre wichtigsten Lehren daraus?
Eine wichtige Lehre aus den beiden Krisen ist, dass eine konsequente und richtige Diversifikation unumgänglich ist. Weiter scheint uns ein Ansatz, der sich hauptsächlich auf Renditeprognosen stützt, wenig effektiv, weil die Vergangenheit deutlich gemacht hat, dass solche Vorhersagen äusserst schwierig zu machen sind. Eine markant höhere Gewichtung des Risikomanagements in der Vermögensverwaltung ist deshalb zu empfehlen. Die grösseren Rückschläge oder Tail Risks künftig nur noch teilweise mitzumachen, ist mittel- und langfristig das wichtigste Mittel, um eine robuste und überlegene Performance zu erzielen. Deshalb fokussieren wir uns auf diesen Aspekt.
Ein krisenresistenteres Portefeuille zeichnet sich dadurch aus, dass es die Höhe des Rückschlags dämpfen kann.
– Marcel R. Zutter, Founding/Managing Partner – CEO
Welche Rolle werden Aktien künftig noch spielen können? Verlieren diese klassischen Risikoanlagen an Bedeutung, zum Beispiel weil ihr Risikopotenzial zu gross ist – zu gross geworden ist?
Die Rolle der Aktien hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder gewandelt. In gewissen Zeiten werden sie als ein Segen und in anderen als Teufelswerkzeug gesehen. Keines der beiden Extreme trifft zu. Aktien haben ein gewisses Risikoprofil, das zu verwalten ist. Die heutige relative Attraktivität der Aktien spricht für diese Anlageklasse, und die Wahrscheinlichkeit, dass man kaum an ihnen vorbeikommt, ist hoch. Künftig wird es aber – im Vergleich zu früher – weit wichtiger sein, die richtigen Aktienmärkte auszusuchen und allfällige Korrekturen zu vermeiden.
Ihr Investmentansatz ist sehr wissenschaftlich und nicht für jedermann sofort zu verstehen. Hat man heute mit Intuition und Erfahrung keine Chance mehr?
Wissenschaftlich muss nicht unbedingt komplex heissen. Unser Ansatz ist als Konzept einfach und verständlich. Die Details zur Berechnung der Marktfragilität und der Marktregimes sind dazu nicht notwendig. Ein wissenschaftlich abgestützter und überprüfter Investmentansatz hat klare Vorteile gegenüber der Intuition, weil entscheidende Marktumwälzungen von blossem Auge nicht festzustellen sind. Die Fragilität der Märkte kann beispielsweise intuitiv nicht verlässlich erfasst werden, sie ist jedoch eine entscheidende Grösse zur Vermeidung von grösseren Verlusten.
Risikomanager
PARSUMO Capital ist eine unabhängige Vermögensverwaltungsgesellschaft mit Sitz in Zürich. Die Partner haben Pionierarbeit im quantitativen Asset Management und in der Beratung von institutionellen Anlegern geleistet. PARSUMO sieht sich primär als Risikomanager, der Anlagen mit einem quantitativen Global-Macro-Ansatz angeht und die Mittel hat, Marktturbulenzen zu antizipieren. Zu diesem Zweck wurden Vorabindikatoren entwickelt, der Systemic Risk Index und der Turbulence Index. Die Strategie wird vorab über physisch hinterlegte ETF oder Indexfonds umgesetzt. Ende 2011 wird PARSUMO mit dem PARtact Dynamic Strategy Fund einen Schweizer Fonds für qualifizierte Investoren lancieren. In diesen breit diversifizierten Fonds soll der wissenschaftliche Ansatz von PARSUMO einfliessen und dabei das Risiko des Portfolios dynamisch der Marktrisikoeinschätzung angepasst werden. Gründungspartner Marcel R. Zutter war zuvor viele Jahre in leitender Stellung für State Street tätig.
«Einem substanziellen Marktrückgang gehen quantitativ messbare Umwälzungen der Märkte voraus.»
Marcel R. Zutter, Founding/Managing Partner, CEO
Aus «Finanz und Wirtschaft» vom 19. Oktober 2011, Interview: Franz Schneider
Finanz und Wirtschaft-Interview mit Marcel R. Zutter als PDF